Der Wille des Einzelnen

Podiumsdiskussion

Mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Haller Tagblatt vom 30.11.2022.

Zwei Professoren sprechen in der Kunsthalle Würth in Hall über assistierten Suizid. Rund 150 Gäste in­ter­essie­ren sich für das Thema.

„Assistierter Suizid – Selbst­be­stim­mung bis zuletzt?“ Dieser Frage stellten sich die Professoren Dr. Andreas Heller aus Graz und Dr. Jean-Pierre Wils aus Nijmegen vor Kurzem im Adolf-Würth-Saal der Kunst­hal­le in Hall vor rund 150 Gästen. Susanne Kränzle, Vorsitzende des Hospiz- und Palli­a­tiv­ver­ban­des Baden-Württemberg, erläuterte zur Einführung die Sachlage, schreibt der Hospizdienst Hall. Vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Das Persönlichkeitsrecht umfasst neben dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch die Freiheit, sich zur Selbsttötung Hilfe von Dritten zu suchen. Das Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, kollidiere hier mit der Pflicht des Staates, Leben zu schützen.

Alternativen bieten Dennoch stelle sich die Frage, ob der Staat tatsächlich verpflichtet ist, Menschen vor sich selbst zu schützen. Heller sieht hier die solidarische Gesellschaft in ihrer Pflicht, mit den Betroffenen um ihre Entscheidung zu ringen und ihnen Alternativen zu bieten, um sie in dieser Situation nicht allein zu lassen. Den Menschen, die beispielsweise lebensbedrohlich erkrankt sind, medizinische Hilfe zu gewähren, um ihr Leiden zu lindern und so das verbleibende Leben noch als lebenswert zu empfinden; psychosoziale Unter-stützung zu leisten und Zuwendung zu geben, mit dem Signal, am Lebensende nicht allein zu sein. Für Wils stelle sich die Frage, ob dies in jeder Situation genüge oder es trotz allem Zustände gibt, die für den Betroffenen unerträglich sind. Dies sei in der Gesetzgebung in den Niederlanden ein wichtiger Aspekt. Sterbehilfe ist dort nicht auf terminale Krankheitsbilder beschränkt. Voraussetzung ist lediglich, dass sich der Patient in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual beruft, die nicht gelindert werden kann.

Mein Wunsch ist es, dass Sie heute Abend mit mehr Wissen nach Hause gehen“

Susanne Kränzle Vorsitz Hospiz- und Palliativverband

Aber gilt nicht nur das Recht zum selbstbestimmten Sterben, sondern auch das Recht zum selbstbestimmten Leben? Ist nicht das Sterben ein letzter Ausdruck von Würde, sofern es würdig, selbstbestimmt und sozialverbunden geschieht, so Heller. Laut Wils habe sich der Autonomiebegriff hin zur Privatautonomie entwickelt. Er rückt den Willen des Einzelnen unter Einbeziehung der Vernunft in den Vordergrund. So sei es nicht verwunderlich, dass der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts so radikal ist, nämlich keine Altersbeschränkung, keine todbringende Krankheit als Voraussetzung zur Selbsttötung vorsieht. Ob dieser Radikalität sind sich die Podiumsdiskussionsteilnehmer einig. So besteht die Sorge der Teilnehmer, dass Menschen zugunsten eines sozialverträglichen Ablebens, eher von der Gesellschaft unter Druck gesetzt werden, sich töten zu lassen, als ihren Mitmenschen „zur Last zu fallen“. Der Mangel an Pflegekräften in stationären Einrichtungen mache dies nicht besser.

Unsicheres Parkett

Die Frage steht im Raum: Wer soll die Assistenz zur Selbsttötung ausführen? Stationäre Hospize und Pflegeheime betreten hier unsicheres Parkett. Sie wollen nicht zu Sterbehäusern werden. Ärzte fühlen sich verpflichtet, Leben zu retten. Keiner kann verpflichtet werden, Suizidbeihilfe zu leisten. Es bleibt bei einer Gewissensentscheidung. Jean-Pierre Wils wirft ein, dass ihm folgendes Szenario bekannt ist: Ein Palliativmediziner wird darum gebeten, dem unerträglichen Leiden eines Patienten ein Ende zu setzen. Der Mediziner lehnt ab. Der Patient erschießt sich am folgenden Tag. Das Bild wird der Mediziner nicht mehr los. Am Lebensende und in anderen Krisensituationen entstehe bei Betroffenen immer wieder der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Nicht selten werden solche Wünsche Tage danach widerrufen. Auch bei verschiedenen psychischen Erkrankungen tauche der Wunsch beim Patienten auf, seinem Leben ein Ende zu setzen und es wird alles Mögliche getan, dem Betroffenen das Leben wieder „lebbar“ zu machen. Aus dem Publikum kommt die Frage, weshalb sich die Gesellschaft so schwertut, anzuerkennen, dass auch an der Psyche Erkrankte den berechtigten Wunsch nach assistiertem Suizid haben. Zum einen seien die Bürger aufgefordert, wenn sie von solch einem Wunsch erfahren, alles Mögliche zu tun, um den Betroffenen daran zu hindern. Des Weiteren herrsche die gängige Meinung, dass ein psychisch Kranker nicht entscheidungsfähig ist. Dem Gedanken widerspricht Wils vehement: „So grundsätzlich könne man das nicht sagen.“

Viele Aspekte beleuchtet Die Diskussionsteilnehmer und das Publikum haben viele Aspekte des Themas berührt. Susanne Kränzles Eingangsworte: „Mein Wunsch ist es, dass Sie mit mehr Wissen heute Abend nach Hause gehen. Allerdings werden Sie auch irritiert sein“, habe sich bewahrheitet. Das Thema sei so um-fassend, dass es kein einfaches Pro und Contra gebe. Das Gesetz wird nicht alles regeln können. Je-der Einzelne und die Gesellschaft als Ganzes sind dazu aufgefordert, sich eine Meinung zu bilden. Vielleicht bleibt es bei einem Sowohl-als-auch. „Bleiben wir dabei in der Empathie zu unseren Mitmenschen“, heißt es abschließend.

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